Ehrenamt
Geschäftsbericht 2023: Er macht das Schiedsrichtern zur Lebensschule
16 Jahre lang war Antonio Di Cerbo passionierter Fussballschiedsrichter. Diese Leidenschaft gibt er seit 2014 an die jüngere Generation weiter. Sein Projekt «Kleinfeldschiedsrichter» beim FC Thalwil ist in seiner Art einzigartig – und fördert den Respekt gegenüber den Unparteiischen.
Antonio Di Cerbo ist in seinem Element. Konzentriert läuft er der Seitenlinie entlang, hält die Schiedsrichterfahne fest in seiner rechten Hand und richtet seine Augen wie ein Adler aufs Spielgeschehen. Es ist Samstag, früher Nachmittag, die Herbstsonne strahlt vom blauen Himmel.
Schauplatz: Die Fussballanlage Brand in Thalwil, es läuft das D-Juniorenspiel zwischen Thalwil und Urdorf. Und mittendrin im Geschehen ist eben Di Cerbo, 16 Jahre lang ein aktiver Fussballschiedsrichter. Doch an diesem Tag fungiert der 60-Jährige nicht als Unparteiischer, sondern als Mentor.
Auf dem Platz haben andere die Spielleitung in der Hand. Jüngere. Beispielsweise die 13-jährige Michelle Locher, Juniorin beim FC Thalwil und frisch ins Schiedsrichterwesen eingestiegen. Sie arbitriert das erste Drittel der Partie. Locher wirkt selbstbewusst, pfeift konsequent und lässt sich auch dann nicht ausder Ruhe bringen, wenn ein Trainer einen Platzverweis fordert.
Neben dem Spielfeld stehen derweil zwei weitere junge Unparteiische in den Startlöchern: der 19-jährige Riccardo Hertli, der die Leitung des zweiten Drittels übernimmt, und der 14-jährige Julian Pappone, der den finalen Abschnitt leitet. Alles unter Beobachtung und aktiver Assistenz von Di Cerbo.
Erfolgreiche Nachwuchsunparteiische und ihr Mentor (von links): Michelle Locher, Riccardo Hertli, Artur Serdjuk (bereits etablierter Verbandsschiedsrichter), Antonio Di Cerbo und Julian Pappone. (Fotos: Sascha Rhyner)
Das Juniorenspiel ist Teil des Projekts «Kleinfeldschiedsrichter», Antonio Di Cerbo dessen Initiator. 2014 hat der gebürtige Thalwiler das Projekt innerhalb des FC Thalwil lanciert mit dem Ziel, mehr junge Menschen als Unparteiische zu gewinnen.
Im Zentrum steht die Rekrutierung von aktiven Juniorinnen und Junioren, welche die offiziellen Fussballspiele des FC Thalwil in den Kategorien mit sieben oder neun Feldspielern (E- und D-Junioren/-innen) leiten sollen. «Die Idee war, ein gut strukturiertes Team von Juniorinnen- und Junioren-Kleinfeldschiedsrichtern ab 13 Jahren zu schaffen – mit klaren internen Regeln.»
Di Cerbo überlässt nichts dem Zufall
Die Kleinfeldschiedsrichter absolvieren dabei einen internen theoretischen sowie praktischen Kurs, um sofort mit der Leitung von Spielen beginnen zu können. Dafür werden die jungen Unparteiischen nicht nur mit Outfit, Pfeife, Karten und Uhr komplett ausgerüstet, sondern erhalten auch noch 30 Franken pro arbitriertes Spiel, finanziert aus Sponsorengeldern sowie von der Juniorenabteilung des Vereins. «Langfristiges Ziel ist es, dass die Jugendlichen zu offiziellen Unparteiischen werden, sobald sie das Mindestalter für den Grundkurs erreicht haben.»
Michelle Locher ist eine von rund 20 Jungparteiischen, die Di Cerbo ausbildet.
Der 60-Jährige überlässt dabei nichts dem Zufall. Fast bei jeder Spielleitung der jungen Unparteiischen ist er dabei – wie auch an diesem Samstag. Vor dem Spiel berät er mit den Kleinfeldunparteiischen den Münzwurf, gibt Tipps zur oder zum Dialog mit den Spielern. Während der Partie unterstützt er die noch weniger Erfahrenen von der Seitenlinie mit einer Assistentenflagge, mit der er per Knopfdruck und Vibration ein Signal an das Armband des Unparteiischen sendet, beispielsweise bei einer Abseitsposition oder einem Foul.
Zufällig die Passion entdeckt
Die Jugendlichen profitieren dabei von der Routine und Erfahrung von Di Cerbo. 2006 hat er, damals 43-jährig, als Schiedsrichter begonnen, «eher zufällig», wie er selbst meint. «Als aktiver Fussballer hörte ich immer wieder, dass unser Verein nur zwei Schiedsrichter hatte – bei sechs Aktivteams. Entsprechend wurde ich angefragt und habe angenommen.
Di Cerbo steckte mit seiner Leidenschaft andere an. Bereits nach einem Jahr gelang es ihm, vier neue Schiedsrichter zu gewinnen, später wuchs die Anzahl vereinsintern gar auf 13 Unparteiische. Heute besteht sein Team aus neun erwachsenen Unparteiischen, «eine Anzahl, die weit über der ist, die mein Verein anmelden muss, um allen aktiven Teams die Teilnahme an den Meisterschaften zu ermöglichen.»
Alles im Blick: Riccardo Hertli gibt im Juniorenspiel vollsten Einsatz.
Di Cerbo selbst hat die Pfeife mittlerweile an den Nagel gehängt – um sich den «Kleinfeldschiedsrichtern» und der Schiedsrichterausbildung innerhalb des FC Thalwil zu widmen. Auch in seinem Generationenprojekt hat er ein breites Team geschaffen: Derzeit zählt er 20 Kleinfeldschiedsrichterinnen und -schiedsrichter plus eine lange Warteliste.
Rekrutierung bleibt eine Herausforderung
Das Projekt sorgt für Begeisterung und Wertschätzung. Nicht nur wurde Di Cerbo für den Förderpreis «zündwürfel» im April 2023 (siehe Box) nominiert und prämiert , auch der Fussballverband Region Zürich (FVRZ) wurde auf das Projekt aufmerksam. Der Verband organisiert selbst jedes Jahr Mini-Schiedsrichterkurse, an denen verschiedene Fussballvereine teilnehmen.
Der «zündwürfel» 2023: Alle Gewinnerinnen und Gewinner
Kategorie Sportverein
1. FC Kloten
2. Zürich Rugby Academy
3. Zürich Crickets Cricket Club
Kategorie Ehrenamt
Sieger des Würfelspiels: Hermann Sieber (TV Gossau)
Christian Matter (gehörloser Schiedsrichter SVRZ)
Silvio Solenthaler (Handball Stäfa)
Antonio Di Cerbo (FC Thalwil)
Irene Hunn (Geräteturnerinnenriege Oberwinterthur)
Iris Buser (Turniertanzsport Klub Zürich)
Kategorie Fanwelt
1. La Banda (FC Herrliberg)
2. Fanclub EHC Wetzikon
3. Rychis Leuebandi (HC Rychenberg)
Di Cerbo wolle mit seinem Projekt jedoch nicht den FVRZ konkurrenzieren, im Gegenteil: «Es soll eine Ergänzung zu den bestehenden Ausbildungskursen sein.» Der Verband wiederum zeigte sich gegenüber dem Projekt ebenfalls positiv gestimmt und hat Di Cerbo 2022 gar zum Schiedsrichter des Jahres ausgezeichnet. Zudem konnte der Thalwiler bei einem Workshop sein Projekt anderen Fussballvereinen vorstellen. «Es ist doch im Interesse von allen, Menschen für die Rolle des Schiedsrichters zu begeistern. Denn die Rekrutierung ist und war für alle Vereine schon immer eine grosse Herausforderung.»
«Viele Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter fühlen sich ungeschützt und hören auf zu pfeifen.»
Antonio di Cerbo
Das negative Image, das an den Unparteiischen haftet – obschon sie ironischerweise einen unentbehrlichen Part einnehmen. «Die Unparteiischen sind die Schlüsselfiguren im Fussballspiel, werden jedoch überwiegend als die unwichtigsten Personen betrachtet», erklärt Di Cerbo. Denn oft stünden sie im Mittelpunkt der Kritik. «Dabei vergessen viele, dass sie auch nur Menschen sind und ebenfalls Fehler machen können und dürfen.»
Meist ernten die Unparteiischen aber nur Frust. Und dieser endet auf Amateurebene in den schlimmsten Fällen in Drohungen oder gar Angriffen. Die Konsequenz: «Viele Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter fühlen sich ungeschützt und hören auf zu pfeifen.»
Unparteiische als Hauptfiguren
Di Cerbo befürwortet in solchen Fällen harte disziplinarische Massnahmen – versucht aber auch, mit seinem Projekt den Hebel bei den jüngeren Generationen anzusetzen. «Ich möchte, dass die Unparteiischen als Hauptfiguren des Fussballvereins anerkannt werden und sich bereits die Kleinsten darauf vorbereiten, Respekt vor ihnen zu haben.»
Gleichzeitig möchte Di Cerbo die grössten Talente finden, fördern und dazu ermutigen, offizielle Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter zu werden. «Es gibt nämlich kaum eine grössere Befriedigung als zu sehen, wie die eigenen Kleinfeldschiedsrichter zu offiziellen Unparteiischen heranwachsen. Ohne sie gibt es schlichtweg keinen Fussball.»