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Vereine in der Schule – ein Gewinn für alle
Den grössten Bewegungsdrang haben Kinder im Primarschulalter. Das hat die Natur aus guten Gründen so eingerichtet. Warum Bewegung gerade für Kinder so wichtig ist und wie auch Sportvereine einen aktiven Alltag fördern können, erklärt Dr. Lukas Zahner. Er leitet den Bereich Trainingswissenschaft am Institut für Sport und Sportwissenschaften der Universität Basel.
Lukas Zahner, welche Bedeutung hat der Sport für die Entwicklung im Kindesalter?
Die Knochengesundheit ist ein ganz zentrales Thema. Wenn die Kinder körperlich immer stärker entlastet werden, weil sie sich immer weniger bewegen, fehlt auch die nötige Belastung auf die Knochen, sprich, sie werden zu wenig aufgebaut. Der Zusammenhang zwischen genügend körperlicher Aktivität und gesundem Aufwachsen ist frappant. Auch die Muskulatur gehört dazu. Ist diese nicht genug ausgebildet, kann es schon im frühen Alter zu Haltungsschwächen und Rückenproblemen kommen.
Und das Gehirn?
Heute ist nachgewiesen, dass sich das Gehirn aufgrund erhöhter Bewegungsaktivität differenzierter entwickelt. Vergleichsstudien haben ergeben, dass der Hippocampus, der Teil des Gehirns, der primär für das Gedächtnis zuständig ist, bei aktiven Kindern grösser ist als bei weniger aktiven. Fittere Kinder können sich Dinge deshalb besser merken, was ihnen im heutigen Schulalltag, in dem man viel auswendig können muss, sehr zugute kommt.
Dann haben wir noch die Motorik …
Das beginnt bei kleinen Kindern mit Übungen wie Hampelmann und Purzelbaum. Wenn Kinder das nicht können, wenn sie einen geringen Bewegungsschatz, wenig Bewegungserfahrung haben, ist es nicht erstaunlich, dass zum Beispiel die Unfallgefahr steigt. Das Verletzungsrisiko in kritischen Situationen, etwa bei einem Sturz, ist bei bewegungserfahrenen Kindern geringer.
Gibt es auch soziale Komponenten?
Kinder entwickeln durch die Bewegung in der Gruppe ihre Sozialkompetenz. Sie lernen, sich abzustimmen, sich in eine Mannschaft einzugliedern. So entwickelt sich Toleranz ganz natürlich, ohne dass man künstlich etwas konstruieren muss. Auch die Entwicklung eines Selbstwertgefühls steht in Zusammenhang mit der Bewegungskompetenz. Die Kinder sehen: Ich kann etwas lernen, ich habe etwas erreicht. Wenn ein Kind über einen Baumstamm gehen kann und andere können das nicht, gibt ihm das Selbstvertrauen.
«Kinder in den 1970er-Jahren haben sich drei bis vier Stunden am Tag bewegt. Heute kommt nur noch jedes vierte Kind auf mehr als eine Stunde am Tag. Das ist bedenklich.»
Dr. Lukas Zahner, Titularprofessor (Abteilung Bewegungs- und Trainingswissemschaft)
Die Entwicklung des Kindes steht also stark im Zusammenhang mit der Bewegung.
Wenn man bedenkt, dass sich Kinder in den 1970er-Jahren noch drei bis vier Stunden bewegt haben und heute nur noch jedes vierte Kind auf mehr als eine Stunde Bewegung am Tag kommt, ist das bedenklich. Wenn man die Entwicklung wirklich positiv beeinflussen will, sollte sich ein Kind 90 Minuten pro Tag aktiv bewegen. Eine Stunde ist das absolute Minimum.
Wer kann da eingreifen?
Die Eltern sind der wichtigste Teil. In den Schulen müssen wir den Kindern aktiv Bewegungsangebote machen. Zum Beispiel, indem wir ihnen Sportecken oder Sportmaterial wie Springseile oder Jongliertücher zur Verfügung stellen. Es gibt die Möglichkeit des bewegten Unterrichts, Bewegungspausen einzubauen oder sogar spielerisch zu lernen, zum Beispiel das Einmaleins auf den Treppenstufen zu üben.
Welche Rolle spielen obligatorischer und freiwilliger Schulsport?
Der freiwillige Schulsport spielt eine riesige Rolle, vor allem bei älteren Kindern, die sich bereits eine differenzierte Meinung bilden können. Je vielfältiger das Angebot, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder die Sportart finden, in der sie ihre Erfolgserlebnisse haben und für die sie sich dann auch motivieren können.
Was können die Vereine beitragen?
Primarlehrer sind zum Teil nur rudimentär ausgebildet, was den Sport angeht. Wenn Schulen einen Verein einladen, seine Sportart im freiwilligen oder sogar im obligatorischen Schulsport vorzustellen, kommt das bei den Kindern meist ausgezeichnet an. Die Spezialisten aus den Vereinen haben das nötige Feuer für ihre Sportart und können das als Trainer mit viel Herzblut vermitteln.
Und in den Vereinen selber?
Dort ist es wichtig, dass die Vereine ihre Angebote auf das Alter der Kinder anpassen. Einen Siebenjährigen kann man mit anderen Dingen faszinieren als einen Zwölfjährigen. Deshalb finde ich es sehr gut, dass die J+S-Ausbildung in der Schweiz differenziert wurde und die Leiter für den Kindersport und für den Jugendsport extra ausgebildet werden. Auch Lehrer können diese Ausbildung machen.
Die bewegungsfreundliche Schule
Das Institut für Sport und Sportwissenschaften der Uni Basel hat ein Programm für die «bewegungsfreundliche Schule» entwickelt. Dort wird deutlich, wie viele Räume es gibt, in denen man ein bewegungsfreundliches Umfeld für Kinder schaffen kann. Das Programm bietet Empfehlungen für Schulen, Lehrer und Eltern und enthält auch einige Forderungen an die Politik. Zum Beispiel die Gestaltung von freien Räumen für die Bewegung von Kindern und einen sicheren Schulweg, auf dem sich die Kinder ohne die Hilfe der Eltern zu Fuss oder mit dem Fahrrad bewegen können. Im Internet gibt es alle Informationen und eine lehrreiche Doppel-DVD zum Bestellen.
Quelle des Basisbeitrages: Dossier «Von der Schule in den Sportverein», Mai 2014 Herausgeber: Zürcher Kantonalverband für Sport und Sportamt Kanton Zürich
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