Vereinsentwicklung
Spitze und Breite gleichermassen fördern
Nachwuchs-Förderkonzepte sind für Verbände wichtige Werkzeuge, um die Ausbildung in den Nachwuchsauswahlen und den Vereinen zu steuern. Christine Lüscher, Chefin Nachwuchs von Swiss Orienteering, und Pascal Humbel, Technischer Leiter des Fussballverbands Region Zürich, diskutieren über die Anforderungen an die Ausbildung in den unterschiedlichen Sportarten.
Weshalb sind für die Verbände Nachwuchs-Förderkonzepte wichtig?
Pascal Humbel: Die Ausbildung von Trainerinnen und Trainern sowie Spielerinnen und Spielern sind eng miteinander verbunden. Das Ziel ist, möglichst viele gut ausgebildete Fussballerinnen und Fussballer für die Auswahlen zu haben. Im nationalen Verband wurde 1995 die Ausbildung professionalisiert. Heute haben die Nationalspieler technisch und athletisch ein viel höheres Niveau als damals – das ist auf diese Professionalisierung zurückzuführen. Die dreizehn Ausbildungszentren in der Schweiz müssen gewisse Kriterien erfüllen, damit sie das Ausbildungslabel erhalten.
Christine Lüscher: Swiss Orienteering hat seit 30 Jahren ein Nachwuchs-Förderkonzept, auf dem wir aufbauen. Darin ist die Ausbildung von Athletinnen und Athleten ebenso vorgegeben wie jene der Trainerinnen und Trainer. Das Ziel ist, dass der Daniel Hubmann von morgen besser ist als der Daniel Hubmann von heute, der erfolgreichste aktive Schweizer Orientierungsläufer. Die Erkenntnisse aus seinen Trainings fliessen in die Nachwuchsförderung. So können wir früher und effizienter ausbilden – auch im technischen Bereich.
Was sind wichtige Inhalte der Nachwuchs-Förderkonzepte?
Lüscher: Es braucht ein durchlässiges System. Es gibt immer wieder Sportlerinnen und Sportler, die erst spät den Knopf öffnen. Deshalb ist ein Mixkonzept sehr wichtig. Mitglieder des Juniorenkaders trainieren weiterhin im Regionalkader, im Ausbildungsverein und im Stammverein. Wir stellen fest, dass die Teilnehmerzahlen an den nationalen Läufen bei den 18-Jährigen wieder ansteigen. Das heisst, dass wir eine breitere Auswahl und besser ausgebildete Läuferinnen und Läufer haben, die später wichtige Ämter im Klub oder Verband übernehmen oder eine Trainerlaufbahn einschlagen können. Die Nachwuchsförderung dient so nicht nur dem Spitzensport, sondern auch dem Sport im Allgemeinen.
Humbel: Die Idee von Footeco, dem Talentförderprogramm des Schweizerischen Fussballverbands, ist, die potenziellen Talente über drei oder mehr Jahre zu fördern: Die Klubs des Breitenfussballs können ihre besten Talente für Footeco melden. Werden sie aufgenommen, bleiben sie weiter im Stammverein, trainieren im ersten Jahr aber einmal pro Woche in einem FE-12-Stützpunkt der Grossklubs – im Kanton Zürich sind dies der FC Zürich, der FC Winterthur und der Grasshopper Club Zürich. Auf den Stufen FE-13 und FE-14 trainieren und spielen die Spieler dann nur noch beim Ausbildungsklub. Die Spiellizenz bleibt jedoch beim Stammverein, um eine Rückkehr jederzeit zu ermöglichen.
Wie können Verbände ihre Ausbildungskonzepte in der Pyramide nach unten geben?
Lüscher: Ausbildungsvereine – oder Talentstützpunkte – müssen sich zu gewissen Bedingungen bekennen. Sie müssen zum Beispiel mindestens 100 Stunden Training pro Jahr anbieten, die von einem Trainer mit der J+S-Anerkennung «Nachwuchstrainer Lokal» geleitet werden. Im Nachwuchs-Förderkonzept ist überdies festgehalten, in welchem Alter die Athletinnen und Athleten welche technischen und athletischen Fertigkeiten beherrschen sollten. Ausserdem tauschen sich die Trainerinnen und Trainer im Rahmen des Fortbildungsmoduls für Experten jährlich aus.
Humbel: Am effizientesten geschieht der Wissenstransfer in der Trainerausbildung. Wir vermitteln das Ausbildungskonzept im zweitägigen Einsteigerkurs, den alle besuchen müssen, die ein Diplom machen möchten. Die Trainerinnen und Trainer sind wichtige Multiplikatoren. Im jährlichen Fortbildungsmodul für Expertinnen und Experten wird jeweils die aktuelle Weltstandsanalyse im Spitzenfussball präsentiert.
Welche Vorgaben kann ein Verband den Vereinen bezüglich Ausbildung machen?
Humbel: Der nationale Verband erlässt Vorschriften im Spitzenfussball und definiert gewisse Anforderungen an Diplome in bestimmten Ligen. Die Vereine im Breitenfussball, denen rund 98 Prozent der Spielerinnen und Spieler angehören, profitieren stark von der J+S-Ausbildung der Trainerinnen und Trainer. Die Vereine mit gut ausgebildeten Trainerinnen und Trainern können einen schönen Anteil ihrer Einnahmen aus den J+S-Entschädigungen generieren.
Lüscher: Im OL ist die J+S-Unterstützung ebenfalls sehr wichtig. Entsprechend grossen Wert legen wir auf die Trainerausbildung.
Humbel: Der Regionalverband Zürich hat bei seinen Vereinen eine Umfrage gemacht. Laut dieser werden von 1900 Juniorenteams rund 470 nicht über J+S abgerechnet, weil die Trainerinnen und Trainer nicht die entsprechende Ausbildung haben. Es stellt sich die Frage, ob es die ausführliche Ausbildung braucht oder ob die Ausbildung in diesem Bereich niederschwelliger gestaltet werden sollte.
Lüscher: Im Fussball haben, das beobachte ich beim Team meines Sohnes, viele das Gefühl, auch ohne Ausbildung grossartige Trainer zu sein. Entsprechend verhalten sie sich an der Seitenlinie wie ihre Vorbilder im Fernsehen. Im OL ist dies wegen der geringeren Medienpräsenz und aufgrund der Wettkampfanlage weniger der Fall.
Humbel: In den Einsteigerkursen vermitteln wir den Trainerinnen und Trainern, dass sie nicht in der Champions League tätig sind und dass sie Kinder trainieren, nicht kleine Erwachsene. Im Nachwuchs ist der individuelle Fortschritt wichtiger als das Resultat. «Erlebnis statt Ergebnis» lautet der Slogan im Kinderfussball.
Noch immer hat Segeln das Image, ein Sport für Reiche zu sein. Haben wohlhabendere Leute überhaupt Lust, ehrenamtlich zu arbeiten?
Ich denke nicht, dass Segler in Bezug auf ehrenamtliche Tätigkeit zurückhaltender sind als andere. Es gibt aber andere Voraussetzungen. Beim Segeln braucht mehr Leute als in einem Fussballtraining, wo eine Person mit 15 oder gar 20 Kindern ein Training bestreiten kann. Bei uns ist bei acht Kindern pro Person die oberste Limite erreicht, nur schon aus Sicherheitsgründen.
Ihre Sportarten kämpfen mit unterschiedlichen Herausforderungen im Nachwuchsbereich: Fussballklubs müssen teilweise Wartelisten führen und der Orientierungslauf hat eher zu wenig Nachwuchs. Wie gehen Sie damit um?
Humbel: Wir beklagen uns nicht, auch wenn der Andrang gewisse Herausforderungen mit sich bringt. Dabei sind die Plätze nicht einmal die grösste Herausforderung. Wir brauchen mehr Trainerinnen und Trainer und mehr Infrastruktur, also Garderoben. Hier unterstützen wir als Regionalverband die Vereine in den Gemeinden bei der sportpolitischen Netzwerkarbeit. Wir müssen uns besser verkaufen, denn der Fussball leistet grossartige Arbeit für die Gesellschaft, zum Beispiel in der Integration. Rund 40 Prozent unserer Spieler haben einen Migrationshintergrund.
Lüscher: OL ist ein Familiensport und sehr viele Kinder kommen durch ihre Eltern zum Sport. Unsere Herausforderung ist: Wie bringen wir die Kinder zum Training, wenn die Eltern nicht mitmachen? Für uns liegt der Schlüssel zu mehr Nachwuchs bei den Erwachsenen.
Quelle des Basisbeitrages: Dossier «Bank drücken für den Sport», Mai 2017 Herausgeber: Zürcher Kantonalverband für Sport und Sportamt Kanton Zürich